Einmal bitte Borschtsch (Борщ)!
- Reisedäumling
- 1. Sept. 2015
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 20. Nov. 2022
Oder wie viele Überraschungen kann ein einzelner Reisetag bieten?
Unterwegs sind hier: Mama, Papa und 2 Reisekinder:
Sa. 1 1/2 。•́‿•̀。
Jo. ( ͡° ͜ʖ ͡°) 4 Jahre
Transportmittel der Wahl ist: Ein alter Bus (Mercedes, 207D) zum übernachten.
Von einem kleinen See östlich von Satu Mare brechen wir auf nach Sighetu Marmatiei (Maramureș) und rollen über die Landstraßen Nordrumäniens. Sa. 。•́‿•̀。 ist eingeschlummert – alles ist gut! Auf einmal – PENG – ein Knall, einer unserer Reifen ist geplatzt. Wir haben eine Riesenglück, das Auto ist mit Ach und Krach in der Spur geblieben und ohnehin ist auf der Straße sehr wenig los. Die Eltern sind natürlich trotzdem leicht entgeistert.
Und was sagt Jo. ( ͡° ͜ʖ ͡°) aufgeregt und fast freudig:
„Jetzt haben wir endlich ein Problem!“.
Was in den Köpfen von vierjährigen manchmal so vor sich geht…
Doch wir werden diesen Satz in den nächsten Jahren noch oft zitieren!
Das Drehkreuz für den Reifenwechsel ist in der Bank unter dem sperrigen Kindersitz des schlafenden Sa. 。•́‿•̀。. Die Kinder werden etwas abseits mit einem Stapel Bücher zum Vorlesen auf eine Wiese geparkt. Das Ersatzrad sitzt unglaublich fest. Das kaputte Rad noch viel fester. Wir glauben es geht nie ab. Irgendwie klappt es dann aber doch… Eine per Pferdefuhrwerk vorbeifahrende Romafamilie erklärt uns mit Händen und Füßen, wo der nächste Reifenservice ist. Wir setzen uns wieder ins Auto und rollen der Werkstatt seeehr langsam entgegen, da wir dem Ersatzrad nicht richtig trauen… Und Sa. 。•́‿•̀。 ? Er schläft immer noch! Der erste Reifenservice hat das passende Rad nicht, der Dritte jedoch schon. Immerhin scheint es jede Menge Reifenservices zu geben ... Zeit, um sich an Kurt Tucholskys: "Die Kunst, richtig zu reisen" zu erinnern.
Die Kunst, richtig zu reisen von Kurt Tucholsky:
"Entwirf deinen Reiseplan im großen – und laß dich im einzelnen von der bunten Stunde treiben.
Die größte Sehenswürdigkeit, die es gibt, ist die Welt – sieh sie dir an.
Niemand hat heute ein so vollkommenes Weltbild, dass er alles verstehen und würdigen kann: hab den Mut, zu sagen, dass du von einer Sache nichts verstehst.
Nimm die kleinen Schwierigkeiten der Reise nicht so wichtig; bleibst du einmal auf einer Zwischenstation sitzen, dann freu dich, dass du am Leben bist, sieh dir die Hühner an und die ernsthaften Ziegen, und mach einen kleinen Schwatz mit dem Mann im Zigarrenladen.
Entspanne dich. Laß das Steuer los.
Trudele durch die Welt. Sie ist so schön: gib dich ihr hin, und sie wird sich dir geben."
In Sighetu Marmatiei steuern wir unserem Ziel entgegen, das Freilichtmuseum, wo wir mit dem Campingbus evtl. auch übernachten wollen. Da wir einmal falsch abbiegen entfernen wir uns von unserem Ziel, dafür weißt uns ein Hinweisschild auf die nahe Grenze zur Ukraine hin. Der Tag ist noch lang, spontan parken wir das Auto und machen uns zu Fuß auf in die Ukraine.
Jo. ( ͡° ͜ʖ ͡°) versteht die Welt nicht mehr. Nach Deutschland, Österreich, Ungarn und Rumänien in den letzten Tagen – Noch ein Land. Diesmal EU-Außengrenze mit Grenzfluss. Jo. ( ͡° ͜ʖ ͡°) besteht darauf den „Figuren“ an der „Bremße“ zur „Okkaine“ selber seinen Pass zu zeigen. Die Grenzbeamten sind sehr freundlich zu ihm und er weiß noch nichts davon, wie schwierig diese Grenze zu passieren ist, wenn man zufällig nicht in einem Land geboren ist, in dem man den richtigen Pass dafür in die Wiege gelegt bekommt…
P.S. Dieser Einschub erfolgt 2022 (7 Jahre nach der Reise) und die Welt ist eine andere geworden. Unfassbar sind die Geschehnisse in der Ukraine.
Frieden für alle Menschen in der Ukraine UND in Russland!
Auf Reisen in die Ukraine UND nach Russland haben wir so viele tolle, gastfreundliche, hilfsbereite Menschen getroffen. In beiden Ländern gibt es so viele, die sich nach Frieden (Мир!) sehnen. Bitte bei allem entstehenden Hass durch Krieg, Zerstörung und Propaganda nicht die zivilgesellschaftlichen Brücken der Menschlichkeit abreißen!
Мир! Мир! Мир! Für Alle!
Wir steuern das „Zentrum“ vom kleinen Ort Solotwyno (Солотвино) an, in der Hoffnung etwas Geld tauschen/abheben und essen gehen zu können. Die Suche nach einem geöffneten Gasthaus ist gar nicht so einfach, doch dann landen wir doch in einem und bekommen ein Меню. Wir freuen uns über die Speisekartenkenntnisse eines weiter zurückliegenden Ukrainebesuchs. Die Blini für Jo. ( ͡° ͜ʖ ͡°) sind aus, doch die Pelmeni, Wareniki und besonders die Borschtsch schmecken allen! Wir essen zu Hause kein Fleisch, doch in der Suppe schwimmt ein bisschen. Jo. ( ͡° ͜ʖ ͡°): „Da ist Fleisch drin! Wusstet ihr das? Da ist Fleisch drin, ihr esst doch kein Fleisch – Da habe ich aber Glück gehabt!“.
Zurück in Rumänien steuern wir das Freilichtmuseum an. Ein toller Ort! Niemand ist zum Übernachten dort, außer - wie der Zufall es will - ein Kleinwagen, der wie wir ein MR-Kennzeichen aus Marburg (D) hat. Zwei Studentinnen werden für die folgenden Minuten ausgiebig von Jo. ( ͡° ͜ʖ ͡°) unterhalten, woraufhin sich die eine kurz darauf bei uns vorstellt und sagt, dass sie so heißt wie die Uroma von Jo. - sie weiß also schon fast alles über uns...
Abends findet in einem Pavillon des Freilichtmuseums, nahe bei unserem Bus eine private Feier statt. Natürlich werden wir auch gleich eingeladen. Kurz schauen wir mit den Kindern dem lebendigen Treiben zu. Bei rumänischer Livemusik schwingen automatisch alle von 0-99 das Tanzbein! Ohne Kinder wären wir dort wohl lange geblieben und auch um den ein oder anderen Schnaps nicht drumherum gekommen. Doch die Kinder sind nach dem Tag müde - und mal ehrlich: Livemusikklänge durch die offene Bustür als Tagesausklang (ohne Schnaps) sind doch wirklich ein Geschenk!
Das alles an einem Reisetag! Durch den Tag haben uns ein bisschen Pech, viel Glück, Zufälle und nicht gemachte Pläne geleitet. Gleicht oft ein Alltagstag dem anderen, sind die Tage unterwegs oft unbeschreibbar intensiv und man hat sie noch Jahre später nicht vergessen!
Tipps:
Campingmöglichkeit: Muzeul Satului M.,
www.muzeulmaramuresului.ro, 47°55'09,9"N 23°55'39,4"O. In dem schönen Freilichtmuseum werden seit 1972 historisch interessante Häuser der Region gesammelt. An das Gelände wurde ein einfacher Campingplatz ange-gliedert.
Wer sich in die Musik der ukrainischen Karpaten hineinhören möchte, der wird z.B. bei der HUDAKI Village Band fündig: www.hudakivillageband.com/en
Buchtipp:
Winkler, Christian & Christina (2018): Mit dem Wohnmobil nach Rumänien. WOMO-Verlag, Mittelsdorf/Rhön.
Hier merkt man als reisende Familie, dass auch eine Familie als Autorenteam unterwegs war. Für uns ein tolles Buch!
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